Jacques Herzog, Co-Gründer und -Eigentümer des renommierten Schweizer Architekturbüros Herzog & de Meuron, warnt vor allzu viel Homeoffice-Euphorie: „Ich bezweifle, dass sich das Arbeiten von zu Hause aus fest etablieren wird“, sagte der 70-Jährige im Interview mit dem Handelsblatt. „Ich nehme die vielen Videokonferenzen als effizient und intensiv wahr. Sie sind aber auch anstrengender als physische Begegnungen. Es ist ja auch ständig eine Kamera auf dich, auf dein Gesicht gerichtet, dem kannst du kaum ausweichen.“
„Einige Wochen lang“ könne man das Business „mit Videokonferenzen aufrechterhalten und Freunde zum Facetime-Kaffee einladen“, so Herzog weiter. „Aber es wird nie das Gleiche sein wie die Bar an der Ecke oder das persönliche Gespräch mit einer Bauherrschaft. Es braucht die physische Präsenz des Menschen in einem realen Raum.“ Wir Menschen seien „von diesen sinnlichen Momenten bestimmt und vermissen es, wenn wir uns mehrheitlich bloß über virtuelle Medien begegnen können“.
Der Architekt glaubt folglich auch nicht daran, dass sich an der grundlegenden Trennung von Büro und Privatsphäre und damit am Bild unserer Städte Einschneidendes ändern wird: „Viele beteiligen sich nun an Spekulationen, auch zur Stadt nach Corona. Sie glauben, es werde ein neues Zeitalter eingeläutet, zurück – oder vorwärts aufs Land“, so Herzog. „Das können sich die meisten Menschen gar nicht leisten, und es wäre dramatisch, die Ressource Landschaft und Natur durch die Ausdehnung der Siedlung weiter zu zerstören. Wir müssen die Stadt aber neu denken.“ Seine Prognose: „Wir werden Städte weiter verdichten – aber ebenso zwingend ist deren intensivere Begrünung. Dazu gibt es an vielen Orten auch echte Bemühungen und konkrete Projekte.“
Als Freiberufler bin ich es ja gewohnt von überall zu arbeiten, im Zweifel reichen mein smartphone und mein Macbook, aber eben nicht von zuhause. Zuhause droht zuviel Ablenkung. Das Hintergrundrauschen in einem Straßencafe oder einer öffentlichen Bibliothek (ein eher leises Rauschen) ist besser als das, was mir zuhause in den Sinn kommen könnte, wo Prokrastinieren einfacher ist. Ein richtiges Büro ist auch nett, aber nicht ständig, das tötet Kreativität genau wie reines Home Office einem Scheuklappen verpasst. Die Euphorie ist, das teile ich, nicht angebracht. Dennoch sollte ein Umdenken zu flexiberer Arbeitszeit und auch -Ort-Gestaltung stattfinden, das kann ungeahnte Produktivität- und Kreativkräfte freisetzen und m.E. hält es Arbeitnehmer gesund.
Und in Sachen: Stadt! Ja, intensive Begrünung. Wenn es dichter wird, muss es grüner werden. Betonwüsten sind ungesund, psychisch wie physisch und eine Ikea-Orchidee auf dem Fensterbrett im Büro zählt nicht als Begrünung.
Die Stadt nach Corona? Die neue Stadt in der enuen Normalität? Ich glaube eher, wir werden ganz schnell hin zur alten Normalität und alten Problemen kommen, wenn das hier einmal wirklich vorbei ist. Verdichtung ist ein Problem, Landflucht bleibt Reichen vorbehalten, von daher denkt die Stadt neu, aber nicht die Normalität, der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Mehr Parks, mehr soziales Wohnen, mehr Miteinander, mehr durchbrechen alter Strukturen und Aufbrechen betonierten Sozialismus‘ in kalten Plattenbauwohnmonstern. Da wäre schon geholfen.
Lasst uns was Neues wagen. <3
"Wir müssen die Stadt aber neu denken. Immer wieder ist das nötig – wie schon im Mittelalter nach den verheerenden Stadtbränden oder im Paris des Städteplaners Georges-Eugène Haussmann, der die Stadt der eleganten Boulevards, die wir heute kennen, erst im 19. Jahrhundert schuf, mit brachialen Durchbrüchen durch den mittelalterlichen Stadtkörper."
– https://www.handelsblatt.com/arts_und_style/kunstmarkt/interview-star-architekt-jacques-herzog-wir-muessen-die-stadt-neu-denken/25805424.html?ticket=ST-3211360-rzuebRdMJW7wG4LTUMLv-ap2